Loch frißt Seele auf
Autorin: Una Geiger

Hier wird nicht nur Mammon über Heimat gestellt, sondern auch die Klimapolitik ad absurdum geführt.
Wenn man sich einmal die Zahlen ansieht, die der BUND für jede Tonne Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II veröffentlicht hat, dann sieht man, wie klimaschädigend dieser Strom ist, und das unter einer zum damaligen Zeitpunkt des Beschlußes rot-grünen und heutigen roten Landesregierung. Pro 1 Tonne geförderte Braunkohle wird je 1 Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben, und zwar hier bei uns. 1 Tonne Kohlendioxid in den großen weißen Wolken, die wir am Horizont sehen, wenn wir in Richtung Garzweiler schauen.
Die RWE Power AG will jährlich bis zu 45 Millionen Tonnen Kohle fördern. Mehr als 30 Millionen Tonnen davon soll in den Kraftwerken Frimmersdorf und Neurath zur Stromproduktion eingesetzt werden. Allein dieser Tagebau produziert für etwa 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid.
Aber nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Feinstaub wird in die Luft entlassen. Feinstaub, der SMOG produzieren kann. Feinstaub, der so fein ist, dass er sich in die Lungenbläschen setzt und neben Allergien auch schwere Lungenprobleme und Lungenkrebs hervorrufen kann. Durch das Abpumpen des Grundwassers, damit das Loch Wasserfrei bleibt, versäuert immer mehr der Boden und natürliche wie künstliche Trinkwasserbrunnen vertrocknen dauerhaft. Schon jetzt muss man westlich des Tagebaus in einer Tiefe von 50 Metern bohren, um ans Grundwasser zu gelangen.

Wunderschöne alte Gebäude, einige von ihnen sind nach dem 30jährigen Krieg erbaut worden, stehen mittlerweile leer, bzw. sind 'zurück gebaut worden, wie es im Beamtendeutsch so schön heisst. Sie haben dem großen Bagger Platz gemacht, darunter auch das wunderschöne Haus Palland. Das Krankenhaus in Immerath, dass über seine Gemeindegrenzen hinaus für seine Kardiologieabteilung bekannt war, steht nicht mehr.
Es ist beklemmend durch die Straßen zu gehen, niemand auf den Straßen, keine Menschen, und besonders keine Autos. Überall bahnt sich die Natur wieder einen Weg, da ist ein altes Backsteingebäude, das früher nur eine Hauswand mit Wein bewachsen hatte. Mittlerweile hat der Wein das komplette Haus wie einen Kokon eingehüllt. Dann die wilden Tiere, Vögel, die in den verwilderten Hecken zwischen den Höfen und Häusern ihre Nester gebaut haben. Dann eine Herde Ziegen, die irgendwie entwischt ist und nun wild in den Straßen leben.

Und wenn man weiter geht ... durch Immerath, an der Lambertuskirche, dem 'Dom', vorbei, dann kommt man irgendwann an eine Absperrung. Es sind noch einige Häuser dort, wo jäh der Bodenbelag der Strasse abbricht, wo der Blick über die Kante in den fernen Horizont schweift. Da ist das Loch und gar nicht mehr so weit entfernt sieht man den Bagger.
Wir leben mittlerweile in einer Zeit, wo wir sehr wohl auf alternative Energien zurück greifen können und sollten. Die letzten Monate haben uns dies sogar bewiesen, als die Energiewerker zugaben, dass Garzweiler II eigentlich nicht mehr nötig wäre. Eigentlich. Der BUND und eine Privatperson aus Immerath wollten den Tagebau wegen seiner Allgemeinwohlschädlichkeit verhindern. Seit 2008 wurde prozessiert, doch Ende des Jahres 2013 kam dann das endgültige Aus. 48 km² Natur und Landschaft werden in den kommenden Jahren zerstört, weitere 7.800 Menschen werden ihre Heimat verlieren, der Grundwasserhaushalt des Niederrheins wird für Jahrhunderte beeinträchtigt.

Natürlich ist schon zuviel investiert worden, man will dass sich die Investitionen auszahlen. Für die Energiewerker und deren Aktienhalter. Für die Politiker.
Zu viele Menschen haben deswegen ihre Heimat verloren, sind mitsamt ihren Wurzeln, ihren Traditionen, ihren Toten, verschleppt, verscherbelt und vertrieben worden. Die alten Dörfer mit ihren Dorfgemeinschaften gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es nur noch die Neu-Dörfer. Neu-Immerath, Neu-Borschemich. Doch dies sind keine Dörfer mehr, sondern nur noch bloße Vororte, mit vielen Einfamilienhäusern vom Reißbrett, wo jede Strasse wie die andere aussieht. Kein Dorfkern mehr, keine Kirche, wo man sich treffen kann, sei es für einen Gottesdienst oder einfach um einen kleinen Schwatz zu halten. Viele der Alten sind schon gar nicht mehr mitgezogen, sind in Altenheimen, unter Fremden. Und die anderen? Sie vermissen das Dorf, die Heimat, die Dorfgemeinschaft. Die Seele.
Die Energiewerker erklären plausibel, dass es sich um einige wenige Tausend Leute handelt, die ihre Dörfer aufgeben müssen. Was sind schon einige wenige Tausend? Gegenüber vielen Hunderttausend, die mit Strom versorgt werden. Strom, der nicht gewollt ist. Strom, der dreckig ist. Strom, der nicht nur unser aller Umwelt zerstört, sondern eben auch direkt und unmittelbar Welten, Heimaten zerstört, für immer.
Doch es gibt immer noch Widerstand.
Das Gelbe Band der Verbundenheit
Vielleicht werden schon einigen Dorbewohnern die gelben Bänder aufgefallen sein, die nicht nur in Buchholz, sondern auch in anderen umliegenden Dörfern an Häusern, Laternen und Pfählen angebracht sind.
Die verschieden-farbigen Bänder, wie das rote Band gegen AIDS oder das rosa-farbene Band gegen Brustkrebs, sind aus dem deutschen Alltag gar nicht mehr weg zu denken. Auch wenn man bei dem gelben Band vielleicht zweimal hinschauen muss. Eigentlich war das gelbe Band in den USA ein Zeichen der Verbundenheit mit den amerikanischen Soldaten, die im ersten Weltkrieg dienten. Es war ein Ausdruck der Lieben, die zurück geblieben waren und nun darauf hofften, dass ihre Väter, Söhne, Brüder und Liebsten wieder unversehrt aus dem Krieg zurückkamen. Über die Jahrzehnte weitete sich dieses Zeichen der Solidarität auch auf andere Gebiete aus. Seit Ende der Siebziger Jahre, wo auch hier in Deutschland die Menschen die gelben Bänder als Zeichen des Widerstands und der Verbundenheit mit den internationalen Geiseln des damaligen Terror-Regimes in Teheran öffentlich auf ihren Strassen zeigten, ist das gelbe Band mehr oder weniger ein Begriff.

Nicht nur, dass ökologische Gebiete, die schon seit Jahrhunderten kulturlandschaftlich bearbeitet und bebaut wurden, die für Fauna und Flora eine Heimat bilden und auch kulturhistorisch eine Relevanz hatten, einfach durch einen Federstrich der Regierung hinweggefegt werden. Nein, die kalte Enteignung der Menschen, die hier leben, ist genauso schlimm. Hier werden die Menschen dem Kommerz geopfert. Und diejenigen, die bleiben, die das fragwürdige Glück hatten, ihre Dörfer nicht vor ihren eigenen Augen zerstört zu sehen, müssen sich mit den ökologischen Schäden des Tagebergbaus herum schlagen.
Die gelben Bänder gemahnen all dies und so viel mehr. Jedes dieser Bänder steht für ein Schicksal. Für die alte Dame, die ins Pflegeheim gekommen ist, anstatt in ihrer vertrauten Umgebung und ihrer Dorfgemeinschaft in ihrem eigenen Haus und Grund ihre letzten Tage zu verleben. Für den Bauern, der keine Felder mehr hat, weil er sich neue Felder nicht leisten kann, weder zur Pacht noch zum Kauf. Für die junge Familie, die liebevoll ein altes Haus mit großem Garten restauriert hat, und nun in einem 08/15 Reißbretthaus mit schmalen Garten hockt, rechts und links mit Nachbarn, die sie nicht kennen. Für die kleinen Kinder, die alle paar Wochen Husten haben, weil der Feinstaub der beiden Kraftwerke wieder die Luft belastet, hier mitten auf dem Land. Feinstaubwerte so hoch, wie auf der Corneliusstrasse, die Hauptverkehrsstrasse für LKWs und Autos in Düsseldorf.
Die Bänder stehen für die versandeten und vertrockneten Böden, weil das Grundwasser wieder abgesunken ist, dank Garzweiler un der RWE, die ihre Grube wasserfrei halten will. Mittlerweile ist das Grundwasser auf 50 Meter runter. Die Bänder stehen für die Obstwiesen, die kein Obst mehr produzieren, weil die Bäume einfach vertrocknen.
Die Bänder sind Zeichen der Solidarität, aber auch zugleich Mahnung, was mit den Menschen hier in unserer Heimat passiert. Das Loch, wie es hier genannt wird, frisst nicht nur das Land, es frißt immer noch und auf viele Jahrzehnte hinweg die Seelen der Menschen auf. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Mehr Informationen über das Gelbe Band gibt es auch unter der gleichnamigen Webseite der Aktion: Das Gelbe Band